Ich sag das mal nicht zu laut, aber in meinen Geschichten verarbeite ich (gelegentlich humorvoll eigene Erlebnisse und baue Sachen ein, über die ich bei meinem analogen und digitalen Weg durchs Leben stolpere.
Zum Zeitpunkt des Schreibens hatte ich eine Phase des leidigen Online-Datens mit genau 0,0 Dates durch (im Ernst ich wurde nur geghosted und verarscht). Als „gutaussehender“ Kerl hatte ich dann fürs erste genug von der Damenwelt und habe es mir in der Manosphere bequem gemacht und in Geschichtenform abgelästert.
Der Rahmen der Geschichte war eine Challenge, die mir ein Freund gestellt hat. Die genauen Parameter müsste ich bei Gelegenheit nochmal raussuchen, es waren glaube ich eine alte Frau als Protagonistin, sie findet etwas lange verlorenes und das Ganze soll nicht länger als sechs A4 Seiten sein.
Gesagt getan, habe ich die erste Fassung in einem Guss ohne Pause geschrieben, und in der zweiten Fassung eigentlich nur noch die Rechtschreibfehler ausgebessert.
Agatha und das verlorene Glück
Agatha fluchte leise vor sich hin. Sie war über ihren Kater Luzifer gestolpert. Schwarz wie die Nacht, doof wie ein Sack Ziegelsteine und unfassbar süß. Jetzt fauchte er sie beleidigt an und sie rappelte sich auf. Dabei wollte sie doch nur nachts kurz mal ein Glas Wasser trinken, nicht einmal das blieb ihr erspart. Sie verscheuchte den Kater ungeduldig und marschierte in die Küche. Auf einer dieser Meme Seiten hatte sie eine interessante Erfindung entdeckt, mit der sie bestimmt nicht über Luzifer gestolpert wäre: Schlappen mit eingebauten Scheinwerfern in der Schuhspitze, bestimmt praktisch. Aber andererseits hätte sie auch einfach das Licht anschalten können. Sie rieb sich das schmerzende Knie und fluchte über dieses unselige Viech. Das jetzt auch noch die Frechheit besaß aufgeregt um ihre Beine herumzutänzeln.
„Hau ab, ich füttere dich heute nicht mehr und nachdem du gestern die Schüssel mit der Sahne aufgeschleckt hast, darfst du gerne mal abspecken, du dummes Vieh!“
Lucifer verstand natürlich kein Wort und rannte schon mal vor und kratzte wie nicht gescheit an der Küchentür, die sie bewusst zugemacht hatte. Heute, ja es war schon fast vier, war ein großer Tag. Damenbesuch für ihren Enkel Ryan, der bestimmt noch tief und fest schlief, wie sie ihn kannte. Er war auf dieser affigen Plattform unterwegs, Tinder oder so ähnlich. Wo arrogante Zicken herzensgute Männer abfällig versauern ließen, weil die dann eben doch nicht so reich waren wie erhofft. Aus Interesse war sie nach dem Tod ihres Mannes und den Problemen ihres Sohnes mit den Weibern über das seltsame Land der Menosphere gestolpert. Lauter Männer alter Altersklassen, die keinen Bock mehr auf Frauen hatten. Zu Recht, als ehemalige Feministin (sie hatte das nie so richtig ernst genommen und den männlichsten Mann in hundert Kilometern Umkreis geheiratet und ein glückliches Hausfrauenleben gelebt) hatte sie in den späteren Tagen ihres Lebens großes Interesse an der Gegenseite gehabt. Und die jungen Frauen von heute waren das allerletzte, arrogant und hochnäsig und hielten sich für unfehlbare Göttinnen. Sie liebte es undercover auf diesen Webseiten und Datingapps unterwegs zu sein und ihr Unwesen zu treiben.
Halt sie wollte etwas trinken und sich nicht in ihrem Leben verzetteln. Besuch war zu neun angekündigt und es war Sonntag, hoffentlich hatte sie alles passend eingekauft.
Ah so ein Glas eiskaltes Wasser tat einfach nur gut. Lucifer saß neben seinem Napf und warf ihr vorwurfsvolle Blicke zu. Sie betrachtete den selbstgebauten Fütterungsautomaten neben dem Kater und schmunzelte, sie hasste Nassfutter und fand den Automaten prima. Schon zu Hausfrauen Zeiten hatte sie immer faszinierend technische Nebenaktivitäten gehabt und sie hatte noch die Zeit der allerersten Computer und Spielekonsolen erlebt. Niemand würde erwarten, dass so ein Fossil wie sie, Basic, Assembler und C meisterlich beherrschte und das Wissen an ihren Sohn weitergegeben hatte. Der hatte ihr damit gedankt und seine alte Mutter an dem Reichtum teilhaben lassen, den er als CEO eines IT Riesen erwirtschaftete. So gesehen spendierte er ihr monatlich das gut zehnfache ihrer Rente und sie nutzte das Geld sehr sparsam. Außer wenn sie mit ihrem McLaren Supersportwagen einkaufen fuhr und die helle Welt entsetzte. Zum Glück war sie noch fit und nicht so gebrechlich und matschig wie ihre Artgenossen, sonst würde sie kaum den Weg ins Cockpit finden, geschweige denn geradeaus fahren ohne ständig irgendeinen Passanten von der Frontscheibe kratzen zu müssen.
Den Fütterungsautomaten hatte sie aus der Pappe all der in der Lockdown Zeit bestellten Pakete und einem Haufen Lego Teilen gebaut, programmiert natürlich in C, wie es sich gehörte. Mit diesem grafischen Firlefanz konnte sie noch nie etwas anfangen und sie hasste das moderne Windows, deswegen war sie schon vor Jahrzehnten auf Linux umgestiegen. Die Shell war einfach unersetzlich.
Sie warf einen Blick auf die große Torte und die Blechdosen mit den Keksen, die auf dem Küchentisch auf hungrige Mäuler warteten. Sie stibitzte einen Ingwerkeks und ging ins Wohnzimmer.
Diese Penthouse Wohnung im Herzen von Berlin, die ihr ihr Sohn gekauft hatte war der helle Wahnsinn, mit ausgiebig großer Dachterrasse und einem eigenen Pool, in dem sie sie regelmäßig ein paar Züge schwamm, also jeden Tag. Und das war ihr FKK Bereich, wo es ihr egal war, dass die Gravitation schon seit langem an ihrem einst wohlgeformten Körper nagte. Meine Herren, vor ihrer Feministen-Phase hatte sie Model gestanden, jetzt war sie ein schwabbeliger Wasserball, mit mehr Falten als eine Galapagos Schildkröte und traurig hängenden Titten. Aber sie verabscheute FKK Badestellen, wo auch bei den Herren alles traurig vor sich hin baumelte, da war sie lieber für sich.
Um halb Fünf stand sie nackt auf der Terrasse und winkte ein paar Nachteulen auf dem gegenüberliegenden Dach vor, dann nahm sie ein paar Züge in dem wohltemperierten Wasser und trocknete sich ab.
Um sieben klopfte sie bei Ryan an die Tür und zog sich etwas an, dass ihre Leibesfülle etwas kaschierte und trug einen Hauch Makeup auf, nun war sie eben ein besonders schöner faltiger Wasserball. Im Wohnzimmer war alles vorbereitet und die Kaffeemaschine hatte sich warmgelaufen.
Um fünf nach neun klingelte es an der Tür und Luzifer fetzte wie bescheuert zur Wohnungstür.
Ohne durch den Spion zu gucken öffnete sie die Tür und starrte einer verblüfften Mittzwanzigerin in die Augen, die sie um einen Kopf überragte. Mit gewissem Entsetzen betrachtete Agatha die junge Frau. Tja, mit dem Zentner Schminke könnte man eine Wand malern. Dazu ein praller Vorbau und ein runder Arsch, alles so knapp verpackt und bauchfrei, dass man sich echt nur fremdschämen kann.
„Ähm, ich dachte hier wohnt Ryan? Wer sind Sie denn?“
„Du meine Liebe, Ryan kommt gleich, ich bin seine Großmutter. Komm ich zeig dir alles.“
Auf Zehenzermalmend hohen Absätzen stöckelte das Weib in die Wohnung und umklammerte ihre affige kleine Handtasche. Im Wohnzimmer setzte sich die Frau aufs Sofa und überprüfte ihr Makeup, sie schien sich nicht im Klaren, wie arrogant sie rüberkam. Mein Gott Ryan, warum fällst du auf sowas rein, das geht doch schief! Die blondgefärbten Haare wirkten so unecht und hatte die sich echt die Brauen abrasiert, nur um sie sich wieder aufzumalen? Warum nur?
„Möchtest du einen Kaffee meine Liebe?“
Die Frau beachtete sie gar nicht. Seufzend machte sie sich einen doppelten Espresso und setzte sich aufs Sofa. Sie beobachtete die Frau wie ein fremdartiges Wesen, Ryan hatte erzählt, dass sie Emily hieß, da hatte sie doch etwas eher Bodenständiges erwartet. Wahrscheinlich war sie so ein komisches Instagram Model oder wie man das nannte. Das war doch kein echtes Modeln, sowas hatte noch Stil, aber sowas ging doch gar nicht. Und war das Mode, sich neuerdings in eine knappe Wurstpelle zu quetschen?
Genüsslich trank sie ihren Kaffee und beobachtete mit Verzücken, wie sich die Frau mit jeder verstreichenden Minute immer unwohler zu fühlen schien. Luzifer, hatte den Sessel erobert und begeierte die Torte auf dem Esstisch, der Fütterungsautomat hatte ihn heute Morgen geflissentlich ignoriert. Dann regte sich die Frau und klimperte mit ihren falschen Wimpern.
„Wo ist Ryan?!“
„Der braucht sicherlich noch ein bisschen.“
„Hey alte Schachtel, verarsch mich doch nicht.“
Sie dachte einen Moment über eine passende Beleidung nach, verwarf dann aber den Gedanken.
„Möchtest du ein Stück Kuchen, dann platzt vielleicht endlich deine Pelle auf und wir sehen die Fettwülste, die sich schalartig um deine Taille schwingen.“
Die Frau starrte sie verunsichert an, dachte einen Moment nach und nickte dann. Einen Moment später betrachtete sie das provozierend große Stück Torte in ihrer Hand. Es schien ihr zu schmecken, alles andere wäre eine obszöne Beleidigung gegenüber ihren Backkünsten.
„Schmeckt gut, sollten wir nicht auf Ryan warten?“
„Auf den können wir lange warten, denn es gibt ihn nicht!“
Jetzt schien es der Frau doch nicht mehr so gut zu schmecken und sie stellte den Teller weg.
„Was soll das heißen?“
„Ryan, ist mein alter Ego oder besser gesagt mein verstorbener Mann Frank in besten Jahren mit Photoshop aufgepeppt und untermalt mit ein paar Deepfakes in den Videoclips. Weißt du meine Gute, mir ist so langweilig und als Ex-Feministin wollte ich mal den Mädels von heute auf den Zahn fühlen und nenn mich geschockt.“
Die Frau lief rot an, dann schien sie wütend.
„Du schreckliche alte Frau. Dann hab ich mich ganz umsonst in Schale geworfen?“
„In der Tat, du bist eine Schande für die Menschheit, ich wünsche dir, dass du von einem LKW überrollt wirst. Wäre kein Verlust.“
Emily schien geschockt zu sein, dann brach sie in Tränen aus. Agatha war verwirrt? Hatte sie was Falsches gesagt? Die Frau wirkte ehrlich am Boden, so war das jetzt eigentlich auch nicht geplant gewesen.
„Ist doch egal ob ich überfahren werde, ich dachte ich könnte noch ein letztes Date haben, bevor es um mich geschehen ist. Stattdessen stolpere ich über eine frauenfeindliche alte Schildkröte, die schöneren Frauen hinterherrennt um sich toll zu fühlen oder warum auch immer. Ich hab Krebs im Endstadium, ich will doch nur ein kleines bisschen Menschlichkeit und ich dachte ich gefalle Ryan, den es ja sowieso nicht gibt.“
Emily riss sich die Perücke vom Kopf und entblößte einen ungesund bleichen nackten Schädel. Giftig starrte sie Agatha an und sprang dann vom Sofa auf. Agatha wollte ihr hinterher rennen, aber so fit war sie dann doch nicht mehr. Sie sah aus dem Küchenfenster wie eine Gestalt auf die Straße rannte und prompt von einem ungebremsten Semi mitgenommen wurde.
Erschrockene Schreie kamen von unten hoch.
Fassungslos setzte sie sich hin.
Scheiße.
Sie spürte ein schweres Gewicht auf ihrer Brust.
Und ein Schnurren.
Dann schlug sie die Augen auf und wurde sich des Albtraumes bewusst. Sie sah auf die Uhr, es war halb acht und Lucifer saß auf ihrer Brust. Jetzt brauchte sie dringend etwas zu trinken. In der Küche sah sie sich um, die Torte und die Keksdosen waren da, genau wie in ihrem Traum. Sie goss sich ein halbes Glas Whisky ein und trank es in einem Zug. Da klingelte die Haustür.
Ohne durch den Spion zu sehen öffnete sie die Tür. Eine junge blonde Frau in Jeans und Kapuzenpulli stand auf der Schwelle.
„Hey Großmutti, bin ich zu früh, ich hab’s endlich gefunden.“
„Möchtest du ein Stück Torte, Emily?“
„Ja klar, deine Torten sind die besten.“
Bei einem großen Stück Torte saßen sie in der Küche und tranken leckeren Milchkaffee. Ihre Enkelin schob ihr ein Päckchen entgegen.
„Ich hab‘s in Papas Sachen gefunden, ganz hinten bei dem alten Krempel seines Vaters. Es war an dich adressiert, wer weiß wie es so lange unentdeckt geblieben sein konnte.“
Agatha öffnete das Päckchen mit zittrigen Fingern, es war schwer und so groß wie ein Schuhkarton. Sie schob das braune Packpapier zur Seite und öffnete den Deckel. Fotos, hunderte von Fotos. Emily setzte sich neben sie.
„Wer ist das?“
Sie deutete auf eine hinreißend attraktive junge Frau, neben einem verdammt gut aussehenden jungen Mann.
„Das waren ich und Frank, dein Opa, als wir noch jung waren. Er ist ja leider schon so früh von uns gegangen. Das sind sagenhafte Schätze, ich dachte die wären in dem Feuer vernichtet worden. Mein guter Frank, muss sie wohl gerettet haben. Unser Leben, dokumentiert. Danke für das tolle Geschenk. Wie geht es dir?“
„Krebs nervt, aber es geht schon irgendwie, irgendwie habe ich davon geträumt, dass ich von einem Lastwagen überfahren wurde und komische Sachen anhatte. Kannst du damit was anfangen?“
Agatha biss sich auf die Lippen und schüttelte nur den Kopf.
„Das war bestimmt nur ein böser Traum.“
ENDE